Eine linguistische Reise zurück in die Schulzeit
Am 01. Oktober 2015 um 18 Uhr durfte die Universität Szeged Frau Dr. Miriam Langlotz von der Universität Kassel für einen Gastvortrag mit dem Thema „Themenentfaltungsmuster und spezifische Ausdrucksformen in Schülertexten, Junktionsausdrucksprofile von Erzählung und Argumentation im Vergleich“ begrüßen. Der 45-minütige Vortrag mit anschließender Diskussion im Haus der Filiale der Ungarischen Akademie der Wissenschaften ist als Nachhall ihrer Dissertation zu verstehen, die sie bei Herrn Prof. Dr. Vilmos Ágel zum Thema „Junktion und Schreibentwicklung“ verfasste und 2014 bei De Gruyter veröffentlicht hat. Der Vortrag lud sowohl Dozenten/Dozentinnen als auch Studierende ein, sich an ihre eigene Schulzeit mit dem Erwerb von argumentativen und narrativen Textstrukturen zu erinnern.
Frau Miriam Langlotz studierte Deutsch im Lehramtsstudium an der Universität Kassel und arbeitet zurzeit an dieser als wissenschaftliche Mitarbeiterin. Darüber hinaus hat sie das Amt einer Lehrkraft für besondere Aufgaben an der Universität Gießen inne und forscht und lehrt in diesem Rahmen zu Fragen der Schreibentwicklung, Textlinguistik, Soziolinguistik und Grammatik-Didaktik.
In Verbindung dazu steht der von ihr gehaltene Vortrag, der 2016 in Form eines Aufsatzes in dem Sammelband Mündliches und schriftliches Handeln im Deutschunterricht. Wie Themen entfaltet werden bei Peter Lang in der Reihe Positionen der Deutschdidaktik erscheinen wird. Als Begründung für die Auswahl ihres Vortragsthemas betonte Frau Langlotz, dass es ein textlinguistisches Thema sei, welches hoffentlich gut zu den Forschungsschwerpunkten des Institutes der Universität Szeged, allen voran von Frau Doktor Drewnowska-Vargáné, passen werde.
Nach einer freundlichen Einführung durch Frau Dr. Habil. Anna Fenyvesi, Dozentin und Institutsleiterin des Instituts für Anglistik und Amerikanistik der Universität Szeged und Vorstand der Linguistischen Kommission der Szegeder Filiale der Ungarischen Akademie der Wissenschaften, begann der Abend. Der Vortrag stehe für den langjährigen, gut funktionierenden didaktischen und wissenschaftlichen Austausch zwischen den beiden Universitäten in Kassel und Szeged, so Frau Drewnowska-Vargáné zur Begrüßung der Dozentin und des Publikums, welches den Saal gut füllte. Die Schnittstelle sei die Textlinguistik und Sprachdidaktik, vor allem im aktuellen Deutschunterricht an deutschen Schulen im Bundesland Hessen, so Langlotz. Den Einstieg boten die hier behandelten Themenentfaltungsmuster wie die im Deutschunterricht zu erwerbende literale Kompetenz[1], mit der sich der Schüler/die Schülerin sowohl durch Rezeption als auch durch Produktion schriftlicher Texte das Wissen einer Schriftkultur aneignen kann. Die funktionale Gestaltung wurde in ihrem Forschungsprojekt in den Fokus gestellt, woraufhin sie argumentative und narrative Situationen in insgesamt 382 Texten für die fünfte, siebte und neunte Klasse in Schulen des Bundeslandes Hessen entwickelte. Diese Eingrenzung des Untersuchungsrahmens liegt nahe, da die Dozentin an der Universität Kassel lehrt und im Landkreis Kassel zu Hause ist. Insgesamt sollte jeder Schüler/jede Schülerin in zwei Texten die Aufgabenstellungen beantworten, wobei bei der zweiten Befragung einige Kinder krank waren und deshalb nur 202 Schüler/Schülerinnen für die Untersuchung zur Verfügung standen. Eine Aufgabe war zum Beispiel die implizite Aufforderung des einleitenden Textes, den eigenen Tagesablauf zu beschreiben. Die Frage, von welchem Alter an man Themenentfaltungsmuster einsetzen kann, war hier zentral.
Die Gliederung des Vortrages sah vor: 1. Themenentfaltungsmuster und spezifische Ausdrucksformen im Erwerb, 2. Junktion in Themenentfaltungsmustern, 3. Empirische Untersuchung, 4. Beispieltextanalysen, 5. Fazit. Diese Punkte wurden systematisch behandelt, wobei sowohl die deutschen, als auch die ungarischen Dozenten/Dozentinnen und Studenten/Studentinnen thematisch, als auch im Hinblick auf das Sprechtempo sehr gut folgen konnten. Es war eine sehr gute Verknüpfung von exemplarischen Forschungspunkten, der Einbettung der Ergebnisse in einen Gesamtzusammenhang und deren strukturierte Präsentation, so das Fazit einiger Studenten/Studentinnen.
Das didaktische Konzept der Textprozeduren, welches auch unter einer kulturellen Prägung steht, beschreibt die textliche Ausführung eines Themas mittels bestimmter sprachlicher Handlungen. Je nach Rückgriff auf ein bestimmtes Formulierungsmuster lässt sich eine Textsorte identifizieren. Junktoren erleichtern dabei dem Rezipienten das Verständnis des Textes, da sie eine Verbindung zwischen Ursache und Folge schaffen. Deshalb sind sie auch als ein zentraler Bestandteil zum Aufbau von Themenentfaltungsmustern zu werten. Anhand von unterschiedlichen Beispieltexten wurden die Junktoren in der deutschen Syntax anschaulich erklärt. Bei der Auswertung der Texte zur Argumentation wurden die drei Typen der adversativen, temporalen und kausalen Argumentation besonders berücksichtigt. So wird zum Beispiel „aber“ in dem Junktionsausdrucksprofil der Adversativität bei den argumentativen und erzählenden Texten besonders in der fünften Klasse verwendet und nimmt bis zur neunten Klasse prozentual gesehen ab. Die häufige Verwendung des Junktors kann auf seine syntaktische und semantische Flexibilität zurückgeführt werden. Demnach gibt es fünf verschiedene Lesarten von „aber“. Bei dem Junktionsausdrucksprofil der Kausalität fiel „weil“ auf, da auch dieser Junktor syntaktisch und semantisch gesehen sehr flexibel einsetzbar ist. So werden im Verhältnis zu „aber“ und „weil“ in Erzählungen „doch“ und „denn“, in Argumentationen „allerdings“, „jedoch“ und „da“ realisiert. Ihre Untersuchungen zeigten, dass die Schüler/Schülerinnen bereits ab der fünften Klasse Erzählungen verfassen konnten, wobei eine logisch und begründbar aufgebaute Argumentation erst in der neunten Klasse sichtbar wurde. Diese Tendenz zeigte sich auch bei der Verwendung der Junktoren „doch“ und „da“, die von den Schülern/Schülerinnen in höheren Jahrgängen häufiger realisiert werden und spezifische Funktionen innerhalb der Themenentfaltungsmuster von Argumentation und Erzählung abdecken. So die Markierung der Komplikation durch „doch“ in der Erzählung oder die Überzeugungsfunktion von „da“ in der Argumentation. Die Frage nach der intuitiven Entwicklung der Kinder oder der vom Lehrer/von der Lehrerin geforderten Muster zur Textgestaltung blieb jedoch offen.
Das Fazit zeige, dass sich die Orientierung der Schüler/Schülerinnen stark an ein Normengeländer[2], als eine Art Produktionsstrategie verstanden, anlehnt, welches in höheren Jahrgängen freier verwendet wird. Dieses besagt, dass Kinder zu Beginn des Schreibens Regeln der Grammatik strikt anwenden und erst mit der Zeit Unregelmäßigkeiten im System erkennen, diese in ihrem Prozess der Textproduktion umsetzen und in ihrer eigenen Textentwicklung freier verwenden. Die Texte weisen dann eine höhere sprachliche Flexibilität und Komplexität auf. Dabei stellt der Prozess der Textprozeduren ein didaktisches Instrument dar, welches zur Förderung der literalen Kompetenz beiträgt, in dem auch der Formenerwerb und der resultierende Funktionserwerb eine Verbindung eingehen.
Bei der sich anschließenden Diskussion, angeleitet von Frau Drewnowska-Vargáné, wurde unter anderem die aktuelle Forschungsdebatte in der Schreibentwicklungsforschung angesprochen. Demnach können die Schüler/Schülerinnen bereits in der Grundschule argumentieren, wobei das gezielte Üben im Bundesland Hessen erst mit dem neunten Schuljahr im Lehrplan auftaucht. Sollte man damit nicht früher anfangen?, so die eingeworfene Frage von Langlotz. Die Fähigkeit zur Ausarbeitung von Pro- und Contra-Listen lässt sich bereits vor der neunten Klasse nachweisen. Dieser zentrale Punkt wird aktuell in der Forschung diskutiert, wobei ein klares Resultat noch aussteht. Wichtig ist jedoch, dass Dozentinnen wie Frau Langlotz einen entscheidenden Beitrag zur aktuellen Forschung leisten, indem sie auf einer empirisch nachprüfbaren Basis Forschungsergebnisse präsentieren, die Thesen und andere Annahmen bekräftigen oder widerlegen.
/Jenny Kunke/
[1] Dieser Fachbegriff befindet sich in der u.g. Fachpublikation Feilke, Helmut (2014a)
[2] Interessierte können in der Publikation von Dannerer, Monika (2012) mehr erfahren.
Quellen:
Feilke, Helmut (2014a): Begriff und Bedingungen literaler Kompetenz, In: ders.; Thosten Pohl (Hrsg.) Schriftlicher Sprachgebrauch – Texte verfassen. Baltmannsweiler. 23-53
Dannerer, Monika (2012): Narrative Fähigkeiten und Individualität. Mündlicher und schriftlicher Erzählerwerb im Längsschnitt von der 5. bis zur 12. Schulstufe. Tübingen.
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