Dr. Andreas Nolda hielt am 6. Mai 2015 einen englischsprachigen Vortrag über das Thema „On the typology of writing systems“ (Über die Typologie der Schriftsysteme). Das Ziel, uns in die Klassifikation der Schriftsysteme einzuführen, wurde auch durch Beispiele aus dem eurasischen Sprachraum illustriert.
Nach der freundlichen Eröffnung durch Dr. habil. Anna Fenyvesi, Dozentin und Institutsleiterin des Englisch-Amerikanischen Instituts der Universität Szeged und Vorstand der Linguistischen Kommission der Szegeder Filiale der Ungarischen Akademie der Wissenschaften, erklärte Herr Nolda, dessen Forschungsschwerpunkt Syntax ist, dass die Typologie der Schriftsysteme für ihn ein Hobbythema ist.
Der Vortrag konnte in zwei große Teile gegliedert werden. Im ersten Teil wurden die Schriftsysteme und die gesprochenen Systeme der Sprache und die Schnittstelle zwischen ihnen vorgestellt. In diesem Zusammenhang erläuterte Herr Nolda die Sprachsysteme, die Schriftsysteme und deren Schriften, Grapheme und Allographe bzw. die Korrespondenz zwischen Graphemen und Phonemen. Wir erfuhren, dass einige Sprachen über mehrere Standardschriften verfügen. Im Fall des Japanischen gibt es drei davon: Kanji, Hiragana und Katakana. Numerale Zeichen bilden auch eine Schrift, viele Sprachen verwenden mindestens zwei Schriften. Grapheme umfassen Buchstaben im lateinischen Alphabet und Schriftzeichen im Chinesischen, Japanischen usw. (Auf diesen Punkt bezog sich nach dem Vortrag auch eine Frage aus dem Publikum.) Allographe sind graphische Varianten derselben Grapheme, wie z. B. Großbuchstaben oder die verschiedenen Schriftarten. Grapheme können auf dreierlei Weisen mit den Phonemen korrespondieren: Ein Graphem entspricht einem oder mehreren Lauten der Sprache oder mehrere verschiedene Grapheme stimmen mit demselben Laut überein.
Im zweiten Teil des Vortrags wurden wir mit den Schrifttypen und deren Klassifikation vertraut gemacht. Die verschiedenen Schriften der Sprachen sind entweder phonographisch, also phonem- oder silbenbezogene Schriften, oder logographisch, d. h. wort- oder morphembezogene Schriften. In die erste Gruppe gehören z. B. die lateinische oder die hebräische Schrift. Anhand des Grades der Vokalbezeichnung können sie stark oder schwach phonemisch sein. Schwach phonemisch ist die hebräische Schrift, in der die Vokale in der Regel nur durch diakritische Punkte markiert sind. Silbenbezogene Schriften bezeichnen Silben, wie z. B. Dewanagari, „die indische Schrift, in der das Sanskrit geschrieben und gedruckt ist“ (www.duden.de), oder die japanische Katakana. Diese können auch stark oder schwach silbenbezogen sein: Dewanagari lässt sich als schwach silbenbezogen klassifizieren, da deren Grapheme ebenfalls Diakritika benötigen, um sich auf Silben mit beliebigen Vokalen beziehen zu können. Die chinesische Hanzi-Schrift ist zwar der japanischen Schrift ähnlich, aber sie zählt sich zu den logographischen Schriften. Dieser Schrifttyp ist auch stark logographisch, während die westlichen Ziffern schwach logographisch sind, weil sie nur einen kleinen Teil der einfachen Wörter der jeweiligen Sprache bezeichnen.
Zum Schluss fasste Herr Nolda die Klassifikation dieser Schriften zusammen, und es begann eine aufregende Diskussion des Themas. Die erste Frage wurde von Frau Fenyvesi gestellt, in welche Schriftkategorie die englische SMS-Abkürzung „c u 2morro“, die für „see you tomorrow“ steht, gehöre. Einerseits sind diese Formen Abkürzungen, aber andererseits können sie als logographische Bezeichnungen für die Namen dieser Grapheme kategorisiert werden. Ein Beispiel dafür aus dem Deutschen ist die Abkürzung „8ung“, die „Achtung“ bedeutet. Eine weitere Frage kam von Herr Dr. János Németh, ob eine Mischung von phonographischen und logographischen Schriften existieren könne. Ein gutes Beispiel dafür ist das japanischen Schriftsystem mit den phonographischen Kana-Schriften, also Katakana und Hiragana, sowie der logographischen Kanji-Schrift.
Das vielschichtige Thema, die uns fremden Sprach- und Schriftsysteme, die heute durch die elektronische Kommunikation hervorgerufenen sichtbaren Änderungen in der Umsetzung des Wortes in die Schrift beschäftigen mit Recht jeden, der sich ein philologisches Studium ausgesucht hat. Ich wage zu behaupten, dass Herrn Noldas Hobby seinen berechtigten Platz im Rahmen des Grundstudiums der modernen Philologien hätte.
/Ágnes Pavlicz/
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