/Fragment/
In der Mitte des Platzes steht eine Figur, deren Erscheinung zwingt die Schatten klein beizugeben. Der Nebel umarmt das Dorf, alles wird dunkel und die Schreckensnacht beginnt. Die Schatten fangen mit ihrem periodischen Weg an. Die Menschen haben ihre Türen schon lange versperrt, einige haben auch das Dorf verlassen, um in dem Aussichtsturm Unterschlupf zu finden.
Eine Frau rennt auf die Steintreppen. Sie drückt das weinende Kind an sich. Sie hört nur ihr Kind, sie hört nicht, wie ihr sterbender Mann röchelt. Er hat sich für seine Familie aufgeopfert, um seine Familie vor den Schatten zu retten. Sie will nicht daran denken, wie ihr Mann noch lebendig aufgefressen wird, wie er zerfetzt wird.
Aus dem Nichts steht eine schwarze Figur vor ihr, sie versucht zu fliehen, sie hat ihr Ziel, die Tür des Turmes erreicht, aber es ist zu spät. Eine starke Hand greift nach ihrer Schulter und ihre Knochen brechen wie Glas in der Hand der Figur. Vor Schmerz verkümmert, lässt sie das Kind los. Die Schatten kommen derweilen ganz nah, sie wollen frisches Fleisch und Blut. Sie fassen nach der Frau mit ihren fauligen Fingern. Die Figur stößt sie in den Tod.
Die Figur dreht sich um, als das Kind zu schreien begann. Der Grund für den Schrei ist nicht der Tod der Mutter, sondern vielmehr ein Körperteil. Es hat keine Beine, nur zwei Stummel, die zu Pulver zerbröseln. Nach einem goldenen Lichtstrahl verschwindet es ganz. Die Figur hebt das Kind auf und bringt es in Sicherheit. Es dauert eine Weile, bis das Kind sich beruhigte. Sie wiegt es und trällert ihm. Als das Kind mit dem Weinen aufhört, fragt die Figur es nett.
– Sag mir, was ist dein Name.
Stille folgt auf die Frage, man hört, wie das Kind in der kalten Winternacht zittert. Die Figur breitet ihren Mantel über das Kind.
– Katharina, – sagt das Mädchen leise. – Mein Name ist Katharina. Und wer bist du?
Die Frage hängt wie ein scharfes Messer in der Luft, aber die Figur schmunzelt.
– Ich habe seit langem keinen Namen.
– Aber jeder hat einen Namen! Hast du keinen Namen, dann existierst du gar nicht, dann bist nicht leibhaftig.
Schmerz spiegelt sich in seinen blauen Augen. Katharina spricht weiter.
– Was passierte mit meinen Eltern? Wo ist meine Mutti?
– Sie sind in sicheren Händen.
Das Mädchen beginnt zu weinen und stößt die Figur wütend weg. Als sich die Figur ihm nähert, umgibt eine goldene Blase das Mädchen. Die Figur lächelte und sagte.
– Wenn du willst, kannst du mir einen Namen geben.
Katharina trocknet sich die Tränen, schaut die Figur an, die ihre wahre Identität nicht mehr vor ihr verbergen konnte. Ihre Augen waren nie so blau.
– Dagon… Dein Name sei Dagon.
/Krisztina Zámbó/
Beitragsbild: www.netestra.hu
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