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Der Effekt der Bezeichnungen von Nachrichtenakteuren in der westeuropäischen Qualitätspresse

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Am 16. Februar 2016 hat das Germanistische Institut seinen ersten Gastvortrag in diesem Semester veranstaltet: Mag. Melanie Kerschner, Lektorin an der Anglistik in Salzburg, hielt einen Vortrag zum Thema Die Bezeichnung von Nachrichtenakteuren und deren Funktion in Leitartikeln der deutschen, britischen und italienischen Qualitätspresse. Der Vortrag lud sowohl Studierende als auch interessierte KollegInnen ein, sich im Gebiet der Medienlinguistik zu vertiefen.

Melanie Kerschner2 Frau Mag. Melanie Kerschner studierte nicht nur Anglistik und Amerikanistik, sondern auch Romanistik an der Universität Salzburg und arbeitet zurzeit an selbiger Universität als Lektorin des Instituts für Anglistik und Amerikanistik.

Nach der freundlichen Eröffnung durch Frau Dr. habil. Ewa DrewnowskaVargáné, Leiterin des Lehrstuhls für Germanistische Linguistik in Szeged, begann der medienlinguistische Vortrag. In ihrem Vortrag stellte Frau Kerschner mithilfe eines Modells dar, wie Journalisten verschiedenster Medienkulturen mit verschiedenen Fragestellungen beim Selektionsprozess der Nachrichtenereignisse umgehen.

In ihrer Forschung untersuchte sie drei Medienkulturen: die deutsche, die britische und die italienische. Die Wissenschaftlerin hat insgesamt 45 Leitartikel, das heißt 15 Artikel pro Medienkultur untersucht. Für die Untersuchung hat sie 6 Qualitätszeitungen ausgewählt: The Guardian, The Independent, Frankfurter Rundschau, Die Welt, Corriere della Sera und La Stampa. Die Zeitspanne der Artikel reicht von 2012 bis 2015. Ihre Thematiken sind globale Überwachung und Whistleblowing.

Den Einstieg des Vortrags bot eine allgemeine Charakterisierung der Nachrichten. Frau Kerschner erklärte zuerst, dass die Nachrichten kulturelle und soziale Produkte sind, die von Nachrichtenagenturen und Nachrichtenagenten geschaffen werden. Die Nachrichtenereignisse würden sowohl nach den Vorstellungen des Redaktionsteams, als auch nach „news values” selektiert. Nach dieser Selektion folge die Verbalisierung der ausgewählten Ereignisse in Form von Nachrichten. Danach müsse der Autor verschiedene linguistische Entscheidungen treffen, zum Beispiel: was soll im Vordergrund stehen, wie kann der Leser miteinbezogen werden oder was wird als Fakt und was als persönliche Meinung ausgedrückt.

Als nächster Punkt wurde die Personalisierung im Leitartikel dargestellt. Es wurde erläutert, dass jede Form der Massenkommunikation über drei Diskursteilnehmer verfüge: über den Autoren/Journalisten, den Empfänger/Leser und den Inhalt/die Nachrichtenakteure. Im Leitartikel, bei dem der Leser nur eine anonyme Masse bilde, sei nicht nur eine einseitig gerichtete Kommunikation präsent, sondern auch die Meinung der Redaktion. Dadurch, dass der Leser eine anonyme Masse ist, das heißt der Autor kennt den Leser nicht persönlich, sei eine soziale Distanz, eine sogenannte „discoursive gap”, zwischen den zwei Diskursteilnehmern präsent. Diese Distanz kann mithilfe einer Brücke, den sogenannten Personalisierungsstrategien, zum Beispiel durch Charakteristika mündlicher Kommunikation bewältigt werden.

Bei den Dimensionen der Personalisierung seien drei Aspekte wichtig: Der Fokus auf Diskursteilnehmer, der Grad der Personalisierung und die Ebene der Personalisierung. In Hinsicht auf die Präsentation von Frau Kerschner waren die folgenden Aspekte innerhalb der  Dimensionen wichtig: die Nachrichtenakteure, die persönlichen Charaktere und die sprachliche Realisierung.

Es wurde beleuchtet, inwiefern die Personalisierung eines Nachrichtenereignisses durch Bezeichnungen/Namen oder durch Fokussierung auf einen Nachrichtenakteur geschieht. Die Einflussfaktoren auf die Personalisierung von Nachrichtenakteuren seien die Folgenden: die Bezeichnungen, das Thema, das Genre, die Art der Nachrichtenakteure und die Menge der Informationen. Bei der Darstellung der Nachrichtenakteure gebe es 3 Perspektiven: Die Darstellung als Individuen, als Teil einer bestimmten Gruppe oder als eine quantifizierte Gruppe (in Statistiken).

Im Mittelpunkt des Vortrags standen die Bezeichnungskategorien, das heißt „Nomination“, „Functionalisation/Functional honorifics“, „Identification“ und die „Qualifying terms“. „Nomination“ bedeute die unverwechselbare Identität durch Eigennamen, zum Beispiel Präsident Obama oder Barack Obama. „Functionalisation“ stehe für die Bezeichnung eines Berufs, einer Aktivität oder einer Rolle in der Gesellschaft, unter anderem Lehrer oder Politiker. Unter „Identification“ verstehe man die Bezeichnung der sozialen Kategorie in der Gesellschaft, beispielsweise Katholiken oder Republikaner. Zu „Qualifying terms“ gehören die explizit evaluativen Bezeichnungen mithilfe von Metaphern, Vergleichen oder Spitznamen, wie Putins Pudel oder Verräter. Die Gruppe von „Qualifying terms“ ist sehr interessant, weil diese eine neu gebildete Kategorie von Frau Kerschner ist, die bisher nicht berücksichtigt worden ist.

Diese Kategorien hätten, so Frau Kerschner, die Darstellung als Individuen („Nomination“, „Qualifying terms“) und als eine Gruppe („Functionalisation“, „Identification“) umfasst. Die Darstellung als Teil einer anonymen Gruppe kann mithilfe einer quantifizierten oder einer nicht quantifizierten Gruppe erreicht werden.

Geschieht die Darstellung der Nachrichtenakteure durch eine quantifizierte Gruppe, werde diese Kategorie „Aggregation“ genannt. Die Funktion dieser Kategorie ist die Legitimierung in der demokratischen Gesellschaft. Geschieht die Darstellung der Nachrichtenakteure durch eine nicht quantifizierte Gruppe, werde die Klasse „Indetermination“ genannt. Die Funktion dieser Kategorie sei die Anonymisierung.

Das bedeutet, dass die Bezeichnungen der Nachrichtenakteure oftmals starke (positive oder negative) Konnotationen tragen, die einen erheblichen Einfluss auf die Wahrnehmung des Lesers haben. Der Autor kann also verschiedene Methoden verfolgen, wie die Vergabe sozialer Rollen oder jene des „ideological squaring“. Letztere führt zur positiven Selbstdarstellung der „Ingroup“ und zur negativen Fremddarstellung der „Outgroup“.

Zum Schluss wurden die Ergebnisse der empirischen Studie dargestellt. Es habe sich herausgestellt, dass die Gruppe „Functionalisation/Functional honorifics“ am häufigsten vorkam. Danach kamen „Nomination“, „Qualifying terms“, „Identification“, „Indetermination“ und „Aggregation“. Außerdem ergebe sich aus der Studie, dass es einige merkbare Unterschiede zwischen den britischen, deutschen und italienischen Nachrichtenkulturen in der Bezeichnung von Nachrichtenakteuren gibt. Während die Verteilung von „Functionalisation“ und „Nomination“ gleichmäßig sei, gebe es starke Unterschiede zwischen den obengenannten Medienkulturen in der Verteilung von „Qualifying terms“. Die drei anderen Kategorien („Identification“, „Indetermination“ und „Aggregation“) seien in allen drei Kulturen auf den hinteren Plätzen gelandet.

Am Ende des Vortrags hatten nicht nur die Studierenden, sondern auch die Lehrenden des Germanistischen Instituts mithilfe verschiedener Aufgaben die Möglichkeit, sich in das Thema des Vortrags zu vertiefen und es besser zu verstehen. Die aktive Mitarbeit der Studierenden zeigte, dass diese den Vortrag für sehr interessant und anregend hielten.

Für alle Teilnehmenden stellte diese Veranstaltung eine sehr gute Möglichkeit dar, ihren Horizont in Richtung Medienlinguistik zu erweitern.

/Mária Heidecker/

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