Mitte März fand eine von dem deutschen Dichter Ingo Cesaro gehaltene Blockveranstaltung an unserer Universität statt. Über dessen Gedichtband Aus dem Schatten der Engel hat unser Magazin bereits berichtet. Im Rahmen der Literaturwerkstatt erwarben die Teilnehmenden die theoretischen Grundlagen des Haikuschreibens und hatten die Möglichkeit, diese mit Hilfe einer Druckerei in die Praxis umzusetzen.
Haiku ist eine Kurzgedichtform, die kürzeste Form in der lyrischen Literatur, deren Name ins Deutsche übertragen Jahreszeitengedicht bedeutet. In einem Haiku soll ein ’kigo’, ein Jahreszeitenwort, stehen. Die Japaner haben 6624 verschiedene ’kigo’-Wörter. „Man verfasst keine Haiku. Ein Haiku muss einem zufallen”, sagt Ingo Cesaro. Nach den formalen Bedingungen besteht ein Kurzgedicht aus 17 Silben in drei Zeilen: 5, 7 und in der dritten Zeile wieder 5 Silben, in der sich die Zeilen nicht reimen dürfen.
GeMa war im Seminar anwesend und hat mit ihm gesprochen.
Ingo Cesaro über seine Arbeit und über die Blockveranstaltung:
Kein üblicher Weg als Autor
Den ersten Kontakt zum Haiku-Schreiben hatte ich so etwa 1964, in einer gemeinsamen Lesung in München mit Michael Groißmeier, der damals schon mehr traditionelle Haiku geschrieben hat und er sagte anschließend: „Mensch, du könntest auch in Haikuform schreiben. Ich habe einen japanischen Germanisten in Wien und dem schickst du Haiku.” Ich habe Ja gesagt und etwa ein halbes Jahr später kam ein Brief von Dr. Fusi, wann denn nun Haiku von mir kämen. Dann habe ich mich eben hingesetzt, habe ein paar geschrieben und sie ihm geschickt. Er war sehr fleißig, er hat sie nicht nur ins Japanische übertragen, sondern auch dafür gesorgt, dass sie drüben veröffentlicht wurden. Diese wurden doppelt übersetzt, von einem Meister des Haikuschreibens und von einem, der der modernen Form zugeneigt ist. Dr. Fusi hat halt immer wieder nach weiteren Gedichten gefragt und ich habe dann auch gedacht, so einfach kann die Form doch nicht sein. Es ist eine ganz andere Kultur. Ich habe mich eben dann erstmal theoretisch mit der Form auseinandergesetzt und gemerkt, dass es doch viel zu bedenken gibt und dass es schon eine relativ schwierige Form ist. Man denkt am Anfang: 5, 7, 5 Silben, das ist noch zu schaffen. Und ich habe anfangs natürlich auch immer an die Naturbilder gedacht und relativ kompliziert geschrieben. Vielleicht zehn Jahre hat’s gedauert bis ich eigentlich kapiert habe, einfachste Worte, Umgangssprache, das macht eigentlich ein Haiku aus. Es sind wirklich ganz kleine Nebensächlichkeiten, die die Haikumeister in den einfachsten Worten beschreiben. Je einfacher es formuliert wird, umso stärker ist der Nachhall der Gedichte. Das ist mein Weg und dass ich jetzt seit über 20 Jahren auch noch mit der Druckerei unterwegs bin, ist halt kein üblicher Weg als Autor.
Die Kombination von Kopf- und Handarbeit
An einer Vorlesung merkt man: ein Drittel schläft, ein Drittel träumt von ’was ganz anderem und ein paar kriegen vielleicht ’was mit. Danach ist das ja wirklich unbefriedigend. Dann habe ich angefangen, die Studierenden einzubeziehen. Ich habe interaktive Lesungen gemacht, wo sie irgendwas machen mussten. Die Kombination von Kopfarbeit und Handarbeit heißt erstmal schreiben und das Entstandene anschließend setzen und drucken. Ich merke, es gibt (in allen Arten von Schulen) immer mehr Schülerinnen und Schüler, die handwerklich begabt bzw. handlastig oder eben kopflastig sind. Das macht dann in der Regel den Teilnehmenden auch Spaß.
Schon bei den Drittklässlern stellte ich fest, sie sind mit Begeisterung dabei. Das ist einfach dieses ’Kreatives selber tun’ und nicht nur ’was lesen oder hören. Die große Chance dabei ist, bestimmte Themen im Kopf zu haben und diese aus sich frei herauszuschreiben. In einer depressiven Phase schreibt man das Gefühl langsam aus sich heraus, dann verändert sich auch die Stimmung der Gedichte.
Die geeignete Haikusprache
Die japanischen Germanisten sagen, dass Deutsch die geeignete Haikusprache sei. Der Grund ist die vielfältige Formulierung und die Umgangssprache. Man kann Silben verschlucken oder auch Füllworte einsetzen. Wie man es braucht. Man sollte natürlich keine Füllworte verwenden, aber manchmal, wegen der Melodie, passt es dann einfach besser. Das hat eben der Japaner nicht. Wer das nicht schafft, eine Geschichte in 17 Silben zu erzählen, kann mit der Sprache nicht umgehen.
Das Wesentliche
Ich mache Schulprojekte, wo ein Schüler einen Bericht mitbringt, der dann vorgetragen wird. Beim zweiten Vortrag stehen vier, fünf Schülerinnen und Schüler an der Tafel und schreiben Informationen aus diesem Bericht heraus. Insgesamt sind dann 300-400 Silben an der Tafel und wir bilden Wölkchen; suchen raus, welche Informationen in welche Zeile gehören. Da muss ich höllisch aufpassen, dass am Ende nicht nur 12 oder 15 Silben an der Tafel bleiben. Der den Bericht geschrieben hat, hat Vetorecht. Das Verdichten ist eine ganz tolle Geschichte, weil wir gerade das aufzeichnen, was im Kopf passiert. Früher, in Japan, bei einer Gerichtsverhandlung, war ein Schreiber dabei, der 20-30-40 Seiten lang gepinselt, Protokoll geführt hat. Seine Aufgabe war, am Ende der Verhandlung das Wesentliche in einem Haiku zusammenzufassen. Sich auf das Wesentliche zu konzentrieren, das ist es.
Erfahrungen aus der Werkstatt 2016
So locker und so schnell ist es noch nie gegangen. Es gibt im Endeffekt gar keinen großen Unterschied zwischen ungarischen und deutschen Studierenden. Es gibt vielleicht kleine Schwierigkeiten bei Formulierungen. Man müsste wirklich versuchen, während dieses Blocks nur auf Deutsch zu sprechen, auch in der Pause. Es sollte später größerer Wert auf das mündliche Vortragen in den Sitzungen gelegt werden, denn wenn man nach Österreich oder Deutschland fährt, wird natürlich nicht geschrieben, sondern gesprochen. Was ich merke: die Sprache im Schreiben, Setzen und Drucken bedeutet überhaupt kein Problem. Aber das Wesentliche wäre das Sprechen selbst. Was meistens vergessen wird, ist aber der Spaß dabei. Das kann laut sein, man kann sich unterhalten. Man soll einfach Spaß am Kreativen haben.
/Fruzsina Kiss/
Fotos: Fruzsina Kiss
In den Sitzungen haben die Teilnehmenden sowohl vorgefertigte Gedichte ergänzt, als auch komplett eigene Haiku verfasst. Ihre Werke können Sie hier lesen:
Wenn der Frühling kommt,
das Leben kommt schnell auch mit,
die Vögel zwitschern.
/Petra Keresztúri/
Ich bin sehr müde
Seminar beginnt um acht
Bleibe zu Hause
/Tamara Lóczi/
Der Zug verspätet
Blutdruck in den Himmel steigt
ein normaler Tag.
/Domonkos Altdorfer/
Kopfhörer im Ohr
Gefühle im Lied verfasst
Musik rein, Welt raus.
/Hedvig Pribelszki/
Es ist Sommernacht.
Schade, dass es fast regnet.
Doch das Bier schmeckt gut.
/Zsanett Kondor/
Die Blätter fallen
der Winzer trinkt zu viel Wein
Herbst ist doch schon hier.
/Márta László/
Unter dem Baum
gibt es ein schönes Fahrrad.
Ich möchte solches.
/Éva Molnár/
Neben dem Häuschen
blühten schon lange Rosen.
Mein Garten ist still.
/Anikó Szabó/
Wir sind müde, doch
die Stunde ist zu Ende!
Los in die Kneipe!
/Enikő Mikis/
Büffeln tut es nicht,
verstehen muss man alles.
Der Schlüssel zum Glück.
/Fruzsina Kiss/
Der Engel bist du,
Mama, du, mein Schutzengel.
Du bist immer da.
/Adrienn Kohári/
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