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Aus Versehen kreativ? Wie wir unsere Querschläger einordnen können.

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DAS ist Mut!”: Die Geschichte über den Schüler, der in seiner Philosophieklausur die Frage „Was ist Mut?” mit diesen drei Wörtern beantwortet und den Prüfungsbogen abgegeben hat, wurde vor ein paar Jahren verbreitet. Dies ist aber nicht die einzige dieser Art. LehrerInnen und ProfessorInnen bekommen täglich äußerst kreative mündliche wie schriftliche Antworten von ihren SchülerInnen.

Ein Schulkind hat meist nur die Aufgabe, viel und gut zu lernen. Doch wird diese goldene Zeit in der Schulbank oft erst dann richtig geschätzt, wenn sie vorbei ist. Allein, dahin führt ein ziemlich langer Weg, auf dem die SchülerInnen und StudentInnen beim Lernen oft solchen Schwierigkeiten begegnen, die sie nicht ergründen können, bzw. die von einem recht großen Einfluss auf ihren weiteren Bildungsweg sein können. Aber wie kommt es zu diesen Sprüchen?

Unter anderem wird dieses Thema im Zusammenhang damit, welche Prozesse im Gehirn beim Lernen ablaufen, von sämtlichen Forschungsrichtungen erkundet. Auf der Grundlage neuester Forschungsergebnisse werden Lehrpläne entworfen, sowie beliebte und erfolgreiche Lehr- und Lernmethoden untersucht. Laut dem Artikel ’Denkfehler’ vom 16. September 2011 auf Profil sieht Gerhard Roth, ein Bremer Hirnforscher, dringenden Reformbedarf bei den Lehrplänen. Seiner Meinung nach sei der Schulstoff viel zu umfangreich und müsse viel zu schnell gelernt werden. Bei dieser Art von Lernen sei es nicht möglich, dass sich die Inhalte dauerhaft festsetzen.

Synapsen brauchen Serotonin

Unser Gedächtnis besteht aus einem neuronalen Netzwerk. Elektrische Impulse werden bei einem konkreten Reiz von verschiedensten Regionen abgefeuert und auf diese Art ergibt sich ein bestimmtes Muster. In diesem Netz werden neue Verbindungen (sogenannte Synapsen) gebildet. Je vielschichtiger und länger also ein Thema behandelt wird, desto mehr Verbindungen können sich bilden und desto stabiler wird das Netz. Lücken entstehen erst, wenn sich die Synapsen wieder lösen – und können nur von einem sehr komplexen Netz ausgeglichen werden. „Es braucht Zeit und vor allem etliche Wiederholungen über einen längeren Zeitraum, damit sich solche neuronalen Muster bilden können, die eine Voraussetzung dafür sind, dass etwas gelernt und dauerhaft im Gehirn verankert wird”, erklärt Roth.

Die Herstellung neuer Synapsen ist ein enormer Energieaufwand und es wird von unserem Gehirn sehr wohl überprüft, welche Verbindungen sinnvoll sind. Freude und Erfolg hängen in dieser Sache eindeutig zusammen: Die für Freude und Begeisterung zuständigen Glückshormone Dopamin und Serotonin begünstigen die Lernprozesse. „Es könnte ganz einfach sein, Kindern Wissen zu vermitteln”, sagt der Göttinger Neurobiologe und als Publizist tätige Gerald Hüther in einem Artikel auf Focus Online. Dazu sollte nur eins beachtet werden: „Wir sollten alles tun, dass dieser besondere Schatz, nämlich die Lust am Lernen, nicht verloren geht. Damit im Hirn langfristig etwas verankert werden kann, muss das, was man lernen will, unter die Haut gehen”, sagt er. Bestimmte Botenstoffe würden nur durch die Aktivierung emotionaler Zentren freigesetzt. In der Schule werde aber stattdessen versucht, das Gehirn wie einen Muskel zu trainieren. Die Folge des Auswendiglernens sei darum leider, dass langfristig kaum etwas in den Köpfen hängen bleibt.

Unsere Fehler: nur falsch oder witzig?

Was uns interessiert, lernen wir fast automatisch. Der Grund dafür ist, dass die Informationen, die unserem Gehirn wichtig sind, sofort und leicht aufgesogen werden. In einem bestimmten Teil unseres Gehirns, dem sogenannten limbischen System, werden unsere Präferenzen verhandelt, d.h. in diesem Bereich wird das Gütesiegel „wichtig” vergeben und so das Lernen zu einer Erfahrung.

Doch wenn uns der Stoff als „unwichtig” erscheint, kommt es zu Blockaden im Gedächtnis und es bleibt trotz aller Bemühungen nichts hängen. Das Gefühl ist wahrscheinlich uns allen bekannt: Man sitzt zitternd in der Schule oder in einer Prüfung und hofft, dass man – wie im ersten Harry Potter-Band – unter einem sprechenden Hut die richtigen Antworten auf die Prügungsfragen zugeflüstert bekomme und sich somit eine schlechte Note oder eine peinliche Situation vor der gesamten Klasse ersparen möge.

Sitzen die Informationen nicht oder nicht fest genug, bleibt uns nur noch unsere Kreativität. Wörter, Daten und Fakten werden zwar verwechselt oder durcheinander gebracht, bringen aber nicht selten genau dadurch die kreativsten Antworten, bzw. die witzigsten Sprüche hervor.
Über ebendiese hat Spiegel Online durch eine Umfrage unter LehrerInnen in Deutschland Hunderte von Einsendungen erhalten, und Lena Greiner und Carola Padtberg-Kruse haben die besten davon in dem Buch Die Witzigsten Schülerantworten* zusammengestellt. Das Buch stellt dar, welche Schwierigkeiten die deutschen SchülerInnen beispielsweise in Literatur, Geschichte oder im Englischen haben, oder wie sich ihre Rechtschreibung verschlimmert. Außerdem können wir durch diese authentischen Zusendungen und Anekdoten einen Blick auf die Seite der Bewertung solcher Antworten gewinnen.

Deutschlehrer E. aus Nordrhein-Westfalen ist (…) überzeugt: Schülern mit Ratschlägen zu kommen, sei ’wie am Nordpol Schnee zu schippen’. Besser als Belehrungen wirke ein Wechsel der Perspektive. Er notiert sich deshalb alle sprachlichen Querschläger, kommentiert sie ironisch und teilt die Zettel bei der Rückgabe der Klausuren mit aus.”

Wie der Humor selbst, sind der Umgang und die Bewertung dieser Antworten von Person zu Person unterschiedlich. Eins ist aber gewiss: die Kreativität – mag sie sich in Form von Antworten von SchülerInnen oder in ihren Ausreden verkörpern – kennt tatsächlich keine Grenzen. Doch wenn diese vernünftig bewertet werden, können Freude und Motivation beim Lernen und dadurch ein langfristiges Wissen erzeugt werden, was wohl dem eigentlichen Anliegen der LehrerInnen bzw. der LehramtstudentInnen auch unserer Universität entspricht.

/Fruzsina Kiss/


*Literaturangabe zum Buch:

Greiner, Lena und Carola Padtberg-Kruse (2015): Nenne drei Nadelbäume: Tanne, Fichte, Oberkiefer: Die witzigsten Schülerantworten. Berlin: Ullstein.
224 Seiten.
ISBN:
3548375626

Bereits angekündigt ist der Nachfolgeband:
Greiner, Lena und Carola Padtberg-Kruse (2016):
Nenne drei Hochkulturen: Römer, Ägypter, Imker: Neue witzige Schülerantworten und Lehrergeschichten. Berlin: Ullstein.
224 Seiten.
ISBN: 3548376657

 

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